Methodik der Kirchengeschichte

Methodisches Werkzeug

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte methodisches Werkzeug

Vorfragen

Rahmenbedingungen

Geschichte betreiben Menschen, weil sie die Fähigkeit zur Erinnerung haben und sich zeitlich orientieren können. Aus diesem Grund fragt der Mensch nach seinem historischen Bedingtsein. Geschichte wird dabei von den Rahmenbedingungen menschlichen Denkens und Handelns mit geprägt. Diese müssen bei der Rekonstruktion des Vergangenen mit einbezogen werden.

Epocheneinteilung

Für die Orientierung in der Zeit werden Zeiteinteilungen genutzt. Das sind Kalendersysteme und Epocheneinteilungen. Die Einteilung in Epochen erleichtert die Orientierung, ist jedoch eine nachträgliche Rekonstruktion und spiegelt die Perspektive der Historikerinnen und Historiker und ihres geographischen Kontextes wider.

Entsprechend dieser Epocheneinteilung wird die Kirchengeschichte in Forschungsschwerpunkte und Arbeitsgebiete eingeteilt. Darüber hinaus existiert auch eine thematische Schwerpunktsetzung.

Unabhängig von den Forschungsschwerpunkten und Arbeitsgebiete werden unterschiedliche methodische Zugänge für die Erschließung von Quellen genutzt. Hier greift die Kirchengeschichte auf die Methoden der Geschichtswissenschaft zurück. Geschichte ist immer kontextuell und von der Perspektive abhängig. Die Abhängigkeit der Geschichte von der Perspektive betrifft einerseits die Quellen selbst und andererseits denjenigen der Geschichte rekonstruiert. Diese Rekonstruktion ist immer subjektiv, das meint jedoch nicht beliebig, denn die Subjektivität wird durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Methodik objektiv begrenzt. Zu dieser objektiven Begrenzung gehört, dass diejenigen, die Geschichte betreiben, ihre Perspektive reflektieren. Die Geschichte eines historischen Ereignisses gibt es daher auch nicht im Singular, vielmehr müssen wir korrekterweise von Geschichte im Plural sprechen.

Quellenerschließung

Was ist historisches Arbeiten? Wie funktioniert die historische Quellenerschließung und Quelleninterpretation? Diese Fragen werden im Folgenden geklärt.

Grundelemente historischer Arbeit

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Historische Arbeit

Gegenstände und Perspektiven, Zeiten und Kontexte, Arbeitsweisen und Zugänge zur Kirchengeschichte sind sehr verschieden. Gleichwohl lassen sind bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsame Elemente der geschichtswissenschaftlichen Tätigkeit erkennen. Kirchenhistorisches Arbeiten vollzieht sich in dem immer wiederkehrenden Zusammenspiel von Vorwissen (Was weiß ich bereits?), Fragen (Was will ich wissen?), und Quellen (Woher nehme ich dieses Wissen?).

Überlieferung: Wege und Kontexte

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Überlieferung

Grundlage jeder kirchenhistorischen Quellenarbeit ist die Klärung der Überlieferungslage:

  • Wie liegt die Quelle vor?
  • Wie ist es dazu gekommen, dass diese Quelle so vorliegt?

Schon der materiale Erhaltungszustand der Quelle kann wichtige Informationen zur Entstehung der Quelle enthalten. Für die weitere Arbeit spielt es auch eine wichtige Rolle, welchen Weg die Quelle seit ihrer Entstehung zurückgelegt hat. Sorgfalt ist für beide Fragen zentral. Manchmal sind es die kleinen und unscheinbaren Hinweise, die wichtig sind.

Entstehungssituation: Ort, Zeit, Autor

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Entstehungsituation

In der kirchenhistorischen Arbeit mit Quellen spielt der Kontext eine große Rolle. Damit aber der Kontext, in dem eine Quelle entstanden ist, analysiert werden kann, braucht es für die Quelle selbst einige Eckpunkte:

Datierungsrahmen

Das hört sich einfach an – aber der Teufel steckt im Detail. Nicht jede Quelle verrät alles, zumindest nicht sofort. Schweigt die Quelle zu Ort, Zeit oder Autor (oder zu allen diesen Aspekten), ist sorgfältige Rekonstruktionsarbeit gefordert.

Kategorisierung: Quellenarten, Gattungen und geprägte Sprachformen

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Kategorisierung

Um eine bessere Vergleichbarkeit von Zeugnissen der Vergangenheit zu erzielen, ist es nötig, die Quellen zu kategorisieren. In einem allgemeinen Sinn kann, etwa aufgrund ihres Materials, zwischen verschiedenen Quellenarten unterschiedenen werden. Für deren Verständnis sind die historischen Grundwissenschaften unabdingbar. Im Fach Kirchengeschichte wird vorrangig mit schriftlichen Quellen gearbeitet. Diese können anhand unterschiedlicher Gattungen kategorisiert werden. Die kleinste Form von Kategorisierung innerhalb von schriftlichen Quellen wäre die Unterscheidung verschiedener geprägter Sprachformen.

Textgattungen sind sprachliche Muster, nach denen Texte aufgebaut sind. Sie können im Blick auf (1.) formale und (2.) inhaltliche Merkmale unterschieden werden, entstammen typischen (3.) Entstehungszusammenhängen, werden in typischen (4.) Verwendungszusammenhängen gebraucht und haben daher in bestimmten Kommunikationsvorgängen eine spezifische (5.) Funktion.

Aufbau und Struktur eines Quellentextes

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Aufbau Quellentext

Das Wort „Text“ heißt eigentlich „Gewebe“ – und tatsächlich ist jeder Text ein Gewebe aus Wörtern, sprachlichen Bildern, Stilmitteln, Zitaten und Ähnlichem mehr. Dieser Struktur auf die Spur zu kommen, ist Voraussetzung jeder inhaltlichen Analyse.

  • Wie ist die Quelle insgesamt aufgebaut?
  • Wenn ich einen Ausschnitt aus einer Quelle genauer anschaue: Wie ist dieser im Detail aufgebaut?

Sprachliche Beobachtungen und inhaltliche Beobachtungen ergänzen sich, denn Form und Inhalt gehören zusammen.

Sprachliche Analyse

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Sprachliche Analyse

Grundlage jeder Interpretation. Im Blick auf fremdsprachige Quellen stellt sich zunächst die Herausforderung der Übersetzung. Für die Analyse der sprachlichen Gestalt der Texte bietet sich die Unterscheidung in die semantische, die syntaktische und die pragmatische Dimension von Sprache an: Die Semantik fragt nach der Bedeutung von Begriffen. Mit der Syntax ist die Struktur von Sätzen und Texten angesprochen. Nach der angezielten Wirkung der Sprache fragt die Pragmatik. Für das Verständnis vieler Text ist zudem eine stilistische Analyse relevant, also ein Blick auf die Rhetorik.

Geistige Prägungen: Intellektueller Horizont, Traditionen und Autoritäten

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Geistige Prägungen
Quellenvergleich

Zu den Kerngebieten der kirchengeschichtlichen Arbeit gehört die Frage nach den geistigen Prägungen von Personen und Texten. Was klassischerweise unter dem Begriff der Traditionsgeschichte behandelt wird, kann im Blick auf die Fragerichtung noch einmal differenziert werden: Im weitesten Sinne kann nach dem intellektuellen Horizont eines Autors bzw. einer Autorin gefragt werden. Darunter fällt im Grunde alles, was die Person potenziell gewusst haben könnte. Spezifischer wird die Frage nach identifizierbaren philosophischen, theologischen und anderen Traditionen. Am konkretesten wird die Frage nach den explizit angeführten Autoritäten. Für die Analyse gilt es nun präzise zu unterscheiden: Welche geistigen Prägungen können identifiziert werden? Und wie wurde mit den verarbeiteten Traditionen und Autoritäten umgegangen?

Kommunikations-Zusammenhänge

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Kommunikationszusammenhänge

Menschen sind soziale und kommunikative Wesen. Quellen sind Ausdruck von Kommunikation vergangener Zeiten, die rekonstruiert und analysiert werden kann.

  • Welche Adressaten nennt bzw. impliziert die Quelle?
  • Wie lässt sich die Quelle in ihrem Entstehungsbedingungen kontextualisieren, z.B. als Beiträge in Debatten?

Damit können die Quellen Rückschlüsse auf vergangene Kommunikation geben. Durch die Kenntnis der Kommunikation kann wiederum der Zweck der Quelle erschlossen werden.

Die Perspektive des Autors/ der Autorin bzw. der Quelle

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Perspektive des Autors

Eine Quelle gibt den subjektiven Blick ihres Autors/ ihrer Autorin wieder. Darum muss ausgehend von dem in der Quelle Berichteten die Perspektive der Quelle erschlossen werden:

  • Welche Kenntnis hat der Autor
  • Welche Position bzw. Meinung hat der Autor? Dies beruht auf seiner geistigen Prägung.
  • Welchen Zweck verfolgt die Quelle mit ihrer Schilderung?

Nur wenn die Perspektive analysiert wurde, kann das in der Quelle Berichtete bewertet werden.

  • Wie plausibel ist das Geschilderte?

Analyse theologischer Deutungskonzepte

Mohr Siebeck Methotik der Kirchengeschichte Analytische Deutungskonzepte
Wirklichkeitsverständnis

Kirchenhistorikerinnen und -historiker analysieren Quellen als Theologinnen und Theologen. Sie analysieren das christliche Wirklichkeitsverständnis, das in den Quellen explizit oder impliziert transportiert wird – natürlich ohne die anderen Aspekte menschlicher Rahmenbedingungen zu relativieren. Anders als die Systematische Theologie bezieht die Kirchengeschichte dabei immer den historischen Kontext und weniger die Gegenwartsbedeutung mit ein.

Auswertung

Kirchenhistorisches Arbeiten verfolgt – ausgehend von der Trias aus Fragen, Quellen und Vorwissen – einen Zweck: Es sollen Fragen über Vergangenes, das durch Quellen zugänglich ist, beantwortet und damit unser Wissen erweitert werden. Zu diesem Zweck müssen die Ergebnisse der Quellenerschließung ausgewertet werden. Die Auswertung ist eine Rekonstruktion, die an die Quellen gebunden, deren Erkenntnisweg nachvollziehbar dargestellt und deren Ergebnisse im Zusammenhang des Kontextes einer Quelle plausibel sein muss. Die Quellen zu stark durch den Blick anderer Zeiten, insbesondere der Gegenwart, zu interpretieren, gilt es zu vermeiden.